NATO vor 75 Jahren gegründet
Happy Birthday, du linke Socke!
ZitatAlles anzeigenDas transatlantische Verteidigungsbündnis feiert 75. Geburtstag. Mehrmals totgesagt, scheint die Militärallianz heute lebendig wie nie seit Ende des Kalten Krieges. Bemerkenswert ist aber etwas anderes: die neue NATO-Begeisterung in linken Parteien und bei Politikern aus der Friedensbewegung.
In einer perfekten Welt würde die NATO heute nicht ihren Geburtstag feiern. Sie wäre längst aufgelöst, obsolet geworden in einer auf Gewaltanwendung verzichtenden Staatenwelt. Dazu ist es nicht gekommen, im Gegenteil: Das Verteidigungsbündnis ist kürzlich um die beiden Ostsee-Anrainer Schweden und Finnland größer geworden. Weitere Bewerber stehen auf der Matte und der Aktionsradius wächst ebenfalls. Längst schielt das Bündnis auf den Indo-Pazifik-Raum, wo sich wegen Chinas wachsender Aggressivität diverse Staaten nach neuen Sicherheitspartnern umschauen. All dies ist aber nicht das Bemerkenswerteste, was sich anlässlich des 75. Geburtstages über die so oft schon totgesagte NATO sagen lässt. Das wirklich Erstaunliche ist ihr rasanter Imagewandel. Parteien und Politiker, die sich links der politischen Mitte verorten, sind inzwischen überzeugte NATO-Fürsprecher. Derweil rücken Vertreter des rechten Rands von der Allianz ab.
In Deutschland steht keine andere Partei so sehr für diesen Wandel wie die Grünen. Im Bundestagswahlprogramm von 1998 wollten die Grünen die NATO noch durch eine "gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung" ablösen. Ein Vierteljahrhundert später steht die NATO im Zentrum grüner Sicherheitspolitik, sie gilt der Partei als Schutzmacht der weltweit unter Druck geratenen Demokratien. Auch andere in der Friedensbewegung sozialisierte Politikerinnen und Politiker sind zu überzeugten Anhängern des Bündnisses mutiert - darunter der frühere Marxist und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz. Unbedingte NATO-Gegner findet man im deutschen Parteispektrum eigentlich nur noch unter überzeugten Anti-Amerikanisten, wie sie sich in der AfD und im BSW versammeln. Zugleich wird die NATO auch in den USA von rechts attackiert, Trump lässt grüßen.
All dies hat die NATO natürlich zuvorderst Wladimir Putin zu verdanken. Mit seiner aggressiven Außenpolitik und dem Überfall auf die Ukraine hat er den europäischen Demokratien und ihren Verbündeten vor Augen geführt, dass das Zeitalter zwischenstaatlicher Kriege doch nicht vorüber ist. Krieg bleibt ein Mittel der Politik, erst recht in Staaten ohne jede demokratische Kontrolle über die eigene Gewaltanwendung. Autokraten wie Putin werden nur durch Stärke abgeschreckt. Es ist ein bitterer, aber unvermeidlicher Rückfall in die Realpolitik des Kalten Krieges, dem sich auch Grüne und Sozialdemokraten nicht entziehen können. In den 1980er, 1990er und 2000er Jahren hatten deren Anhänger noch gegen die Allianz demonstriert. Jetzt ist die NATO auch links, wer hätte das kommen sehen?
Zumal das Selbstbild der NATO, eine demokratische Friedensmacht zu sein, noch immer auf wackligen Füßen steht. Die weiterhin die NATO dominierenden USA haben nach Ende des Kalten Krieges mit völkerrechtswidrigen Kriegen wie im Irak den Anspruch verwirkt, "Weltpolizist" zu sein. Die Intervention der NATO gegen das Regime des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi hat eine ganze Region ins Chaos gestürzt. In Afghanistan hat sich der Westen und mit ihm die NATO letztlich blamiert und trägt natürlich eine maßgebliche Verantwortung für die Toten, Verletzten und das Leid in der Zivilbevölkerung genauso wie unter den eigenen dort eingesetzten Soldaten. NATO-Regierungschefs wie Recep Tayyip Erdogan, Viktor Orbán und nicht zuletzt Donald Trump stehen im Widerspruch zur Selbstdarstellung des Bündnisses, die Welt ein Stück weit demokratischer zu machen.
Wie also konnte eine solche Allianz die Herzen der politischen Linken erobern? Ganz einfach: Das hat sie gar nicht. Das Verteidigungsbündnis ist nur bis zum Hirn vorgestoßen. Und das sagt auch langjährigen Kritikern: Ohne NATO geht es vorerst nicht in einer Welt, in der die Autokratien mehr und die Demokratien weniger werden. Europa und seine Verbündeten wie Australien, Japan, Kanada und Südkorea stehen zunehmend allein da in einer multipolaren (Un-)Ordnung. In dieser fragilen Umgebung die eigene Sicherheit zu gewährleisten, verlangt viel Ressourcen und noch mehr Pragmatismus.
Demokraten mit Sinn für Realismus sehen diese Bedrohungslage und ziehen ihre Schlüsse daraus. Auf dem Weg zum 100. NATO-Geburtstag darf dieser Pragmatismus aber nicht zu Kumpanei mit kooperationswilligen Diktaturen führen. Eine NATO, die sich dem Niveau ihrer Gegner annähert, braucht niemand. Sie sollte stattdessen die eigenen Werte zuerst nach innen wahren und durchsetzen. Und: Das Ziel, eines Tages wieder abrüsten und schließlich auf Militärbündnisse aller Art verzichten zu können, sollten weder alte noch neue NATO-Fans aus den Augen verlieren.
Nach Trumps Wiederwahl wird die NATO wohl nicht mehr älter werden.....