Wie ein Deutscher den Weihnachtsmann erfand
ZitatAlles anzeigenZeichner Thomas Nast verpasste dem Weihnachtsmann einst Bart, Pausbacken und Wampe. Eine Ausstellung feiert das pfälzische Auswandererkind als Begründer der politischen Karikatur in den USA. Sein Werk ist auch heute noch aktuell.
Von wegen Schlitten. Der Weihnachtsmann fährt in diesen Tagen in vielen deutschen Städten mit einem schweren Lastwagen in Rot und Weiß als Werbebotschafter vor. Coca-Cola entdeckte den pausbäckigen Mann mit Rauschebart schon 1931 als Marketingfigur und setzt seither in der vorweihnachtlichen Zeit vor allem auf einen: Santa Claus.
Bevor die Figur für die Werbung entdeckt wurde, hatte sie im 19. Jahrhundert in den USA das Auswandererkind Thomas Nast erstmals zu Papier gebracht. Nast wurde 1840 im pfälzischen Landau geboren und wanderte mit Mutter und Schwester 1846 nach New York aus. Klassische Armutsmigration, damals aus Deutschland.
Mit Lesen und Schreiben tat sich Nast stets schwer, zeichnen aber konnte das Kind. Schon als Jugendlicher heuerte Nast beim Magazin "Harper's Weekly" an. 1863 reichte er erstmals eine Zeichnung seines Santa Claus ein, der später als Marke um die Welt zog.
Doch steckt hinter Illustrator Nast viel mehr als nur der Erfinder einer weltweiten Werbefigur, wie Historikerin Jessica Gienow-Hecht vom John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin bei der Eröffnung Ausstellung "Thomas Nast – Amerikanische politische Karikaturen aus dem 19. Jahrhundert" in den Räumen der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin berichtete. Im amerikanischen Bürgerkrieg (1863 bis 1867) ergriff Nast zeichnerisch Partei gegen die Sklaverei im Süden der USA und unterstützte die Nordstaaten. Der Mann machte Politik mit der Feder.
Nast nutzte in seinen Illustrationen Esel und Elefant als Symbol für Demokraten und Republikaner, die Ikonografie hat sich bis heute gehalten. Auch "Uncle Sam" als Sinnbild für die USA ist weiter aktuell. Doch eckte der politische Kopf bald an.
Ende der 1870er-Jahre musste Nast "Harper's Weekly" verlassen. Politische Dissonanzen, erläuterte Historikerin Gienow-Hecht. Republikaner und Demokraten nähern sich politisch einander an, in den Südstaaten der USA erlahmte auch das letzte Interesse daran, der afroamerikanischen Bevölkerung mehr Gleichberechtigung zu gewähren. Politische Überzeugungszeichner wie Nast störten da nur.
Das 19. Jahrhundert sei uns näher, als viele glaubten, betonte Christian Lammert, Politikprofessor und Gienow-Hechts Kollege am John-F.-Kennedy-Institut, bei der Ausstellungseröffnung.
Das zeigt auch ein Rundgang durch die Berliner Ausstellung. Nast beschäftigte sich nicht allein mit der Innenpolitik der USA, sondern auch mit der Außenpolitik im alten Europa.
Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck ist auf einer Karikatur zu sehen, wie er nach dem Ende des russisch-osmanischen Krieges 1878 gemeinsam mit Zar Alexander II. Europas Landkarte zerschneidet. Das Verschieben von Territorien durch die Mächtigen über die Köpfe der Bevölkerung hinweg – ein höchst aktuelles Thema.
Eine andere Nast-Karikatur zeigt Bismarck mit einem US-Vertreter beim Feilschen über Zölle. Ganz neu ist der transatlantische Handelsstreit also nicht.
Klaus Stuttmann, Karikaturist der Berliner Zeitung "Tagesspiegel", mochte in den ausgestellten Zeichnungen eine Entwicklung erkennen. "Am Anfang zeichnet Nast Straßenszenen als eine Art Ersatz für die erst langsam aufkommende Fotografie. Erst später nutzt der Künstler die überspitzte Form der Karikatur", so Stuttmann.
Wie schon bei Nast haben es politische Zeichnungen auch heute in der Medienlandschaft schwer, so der Karikaturist. Manche Zeitungsverlage fürchteten, der Leserschaft könnten die Zeichnungen politisch missfallen. Andere wiederum sparten schlicht das Geld für Karikaturen ein. "Insofern steht Nast am Anfang und am Ende der Entwicklung der politischen Karikatur", bilanzierte Stuttmann.
Für Historikerin Gienow-Hecht ist auch die Sache mit dem Weihnachtsmann klar. Nasts Kunstfigur ist eine echte Marke: "Eine Marke bedeutet, Kontrolle über das eigene Image zu haben", erklärte sie.
Nicht nur Konzernen ist das Bild, wie sie wahrgenommen werden, wichtig, sondern auch Staaten. Gienow-Hecht blickt deshalb aus einer ganz eigenen Perspektive auf Nast. Die Professorin legte zuletzt ihr neues Buch vor: "Vom Staat zur Marke. Die Geschichte des Nation Branding. Wie Staaten sich sich selbst vermarkten und was sie damit bezwecken."
Mit Nation Branding bezeichnen Fachleute die gezielte Imagepflege von Regierungen nach außen. Die USA boten dafür im Kalten Krieg das klassische Beispiel. Doch wende sich unter Trumps Präsidentschaft das Branding nach innen, so Gienow-Hecht. Ihre These: Trump kümmere sich nicht um sein Image in der Welt, für ihn zähle sein Bild an der Basis der Maga-Bewegung: Make America Great Again.
Dabei hat ausgerechnet der amerikanische Santa Claus eine Migrationsgeschichte. Nast ließ sich bei seiner Illustration von einer vorweihnachtlichen Sagengestalt seiner pfälzischen Kindheit inspirieren: dem Pelznickel, einem etwas mürrischen Begleiter des Nikolaus. Dieser wurde in den ärmeren Gebieten der Pfalz und Badens bis weit ins 20. Jahrhundert als Wohltäter stark verehrt.
Nast verpasste dem mürrischen Pelznickel in den USA mit dem Santa Claus ein positives Image. Ein Musterbeispiel für eine Markentransformation. "Man kann den Pfälzer verpflanzen, aber man kriegt das Pfälzische einfach nicht aus ihm raus", bilanzierte die rheinland-pfälzische Vize-Regierungschefin und Integrationsministerin Karin Binz (Bündnis90/Die Grünen). Dem Freigeist Nast hätte das sicher gefallen.
Nasts Zeichnungen, das zeigt die Ausstellung, haben stets etwas Subtiles. "In der Demokratie ist jeder König", heißt eine Karikatur, in der in einer New Yorker Straßenszene schlicht jeder mit Krone umherwandelt. Doch hat sein Volk als Souverän so gar nichts Majestätisches. Mancher fühlt sich an Johannes Grützkes "Zug der Volksvertreter" im Frankfurter Paulskirchenparlament erinnert. So durchzieht Nasts Werk etwas stetig Renitentes.
Kein Wunder, der Mann stammt aus der Pfalz. 1832 demonstrierten dort mehrere Zehntausend Menschen auf dem Hambacher Schloss in Neustadt an der Weinstraße für Pressefreiheit und Demokratie. Die Anführer Johann Georg August Wirth und Philipp Jakob Siebenpfeiffer wurden ein Jahr darauf in Nasts Heimatstadt Landau vor Gericht gestellt.
Das Verfahren vor rund 600 Zuschauern wurde ins Gasthaus "Engel" verlegt, gleich um die Ecke von Nasts Geburtshaus, der Roten Kaserne. Dort war Nasts Vater als Militärmusiker stationiert. Der Prozess endete im ersten Verfahren überraschend. Die Pfälzer Geschworenen plädierten auf Freispruch. Nast war die Liebe zu Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit also mit in die Pfälzer Wiege gelegt.
Zum Ende seines Lebens hatte sich Nast mit der offiziellen Politik in den USA übrigens wieder versöhnt. US-Präsident Theodore Roosevelt entsandte ihn als US-Vertreter nach Ecuador. Dort starb Nast 1902 an Gelbfieber.
Südamerika zog schon damals das Interesse Washingtons auf sich. Roosevelt unterband im Jahr von Nasts Tod eine militärische Drohgebärde deutscher Kriegsschiffe in der Karibik und schickte die US-Flotte vor die Küste Venezuelas.
Die kaiserliche Marine aus Deutschland drehte ab. Doch verdankte Roosevelt diesen Erfolg vor allem der Diplomatie und dezenten Hinweisen an den deutschen Botschafter in Washington. Ganz nach seinem Motto: "Sprich leise und trage einen großen Knüppel." Roosevelts Nachfolger im Weißen Haus würde das im aktuellen Konflikt mit Venezuela sicher anders formulieren.