ZitatAlles anzeigenVor 30 Jahren schlug der Physiker Berners-Lee dem Kernforschungsinstitut CERN eine Vernetzung von Computern vor. Es war der Grundstein für das World Wide Web. Heute warnt er vor dem Missbrauch seiner Erfindung.
Die ersten Jahre am Schweizer Kernforschungszentrum CERN waren für den damals 34-jährigen Tim Berners Lee aus London ziemlich frustrierend. Er arbeitete mit vielen Dutzend anderen Wissenschaftlern, aber die Zusammenarbeit war schwierig. "Die Leute im CERN kamen alle aus verschiedenen Ländern", berichtet er.
"Sie waren von verschiedenen Unis und haben für verschiedene Einrichtungen gearbeitet - aber eben nicht für ein und dieselbe Firma. Jeder benutzte auf seinem Computer andere Software, Mitarbeiter benutzten verschiedene Rechner. Unsere Dokumente waren auf verschiedene Systeme verstreut."
Viele Texte, Dokumente, Aufzeichnungen waren zwar auf den Computern gespeichert, doch nicht jeder konnte auf seinem PC dieselben Dokumente öffnen. Hinzu kam: Das Internet war bereits 20 Jahre alt, aber bis dahin immer noch ziemlich langweilig. Nur Wissenschaftler und das Militär nutzten es.
"Ein kleines Programm, das alle Dokumente verband"
Die Idee von Berners Lee war 1989 ziemlich bestechend: "Die ganzen Informationen waren im Prinzip in all den Systemen vorhanden. Was es aber brauchte, war ein kleines Programm, das alle Dokumente zu einem Netz verband. Die Dokumente blieben zwar auf den Systemen, waren aber eben auch über das Netz abrufbar." Die Reaktion seines Vorgesetzten am CERN auf den Vorschlag war schlicht: "Vage, aber interessant", schrieb dieser auf das Papier.
Berners-Lee entwickelte nicht nur die Auszeichnungssprache HTML (Hypertext Markup Language), mit deren Hilfe sich Internetseiten bauen lassen, er programmierte auch noch einen Webserver und einen Browser. Alle drei Dinge zusammengenommen legten den Grundstein für das World Wide Web (WWW). So konnten die unterschiedlichen Dokumente auf verschiedenen Rechnern innerhalb des CERN leicht abgerufen werden.
Mehr als 1,6 Milliarden Websites
Das Prinzip ließ sich natürlich auch auf das Internet übertragen. HTML ist leicht zu lernen. Packte man dazwischen Texte, Bilder und Grafiken, konnte man sich Webseiten anzeigen lassen. Nicht nur das: Dokumente ließen sich nun untereinander verlinken, über Kontinente hinweg. Binnen weniger Jahre explodierte die Zahl der Webserver.
Die erste Webseite stellte Berners-Lee ins Netz. Sie lag auf einem Server im CERN. Die erste US-Webseite befand sich auf einem Computer der Universität Stanford. 1993, als die WWW-Software der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, gab es bereits 130 Internet-Seiten. Drei Jahre später waren es schon mehr als 100.000 davon, heute existieren mehr als 1,6 Milliarden.
Das müsste doch eigentlich besser gehen"
30 Jahre nach seiner Erfindung ist Berners-Lee wieder frustriert, nicht über sein von ihm erdachtes System, sondern wie es genutzt wird. "Die Leute ärgern sich über Werbeanzeigen oder darüber, dass sie nicht wissen, was wahr ist", sagt er. "Sie können nicht richtig zusammenarbeiten oder sie sind in den Silos verschiedener sozialer Netzwerke gefangen und können nicht miteinander reden. Viele Menschen, die Presse und Beobachter sind der Meinung, das müsste doch eigentlich besser gehen."
Seine Forderung: "Unternehmen müssen mehr tun, um sicherzustellen, dass ihr Gewinnstreben nicht auf Kosten von Menschenrechten, Demokratie, wissenschaftlichen Fakten und öffentlicher Sicherheit geht."
Berners-Lees Warnung zum Jubiläum
"Der Kampf für das Web ist eines der wichtigsten Anliegen unserer Zeit" schreibt Berners-Lee in einem offenen Brief. "Angesichts der Artikel über den Missbrauch des Webs ist es verständlich, dass viele Leute sich sorgen und unsicher sind, ob das Web wirklich einen positiven Einfluss hat. Aber es wäre defätistisch und einfallslos anzunehmen, dass das Web in seiner heutigen Form in den nächsten 30 Jahren nicht zum Besseren verändert werden kann."
Berners-Lee warnt in seinem Brief vor Datenmissbrauch, Desinformationen, Hassreden und Zensur. Absichtlich verbreiteten böswilligen Inhalten könne mit Gesetzen und Computercode entgegengewirkt werden. Geschäftsmodelle, die die Weiterverbreitung von Falschinformationen fördern, könnten unterbunden werden. Berners-Lee wirbt mit seiner Stiftung "Web Foundation" dafür, das Firmen, Regierungen und die Zivilgesellschaft einen Vertrag für ein besseres Web ausarbeiten.
Nachdenkliche Töne zum Geburtstag
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