ZitatDas Millionenspiel ist ein Fernsehfilm aus dem Jahre 1970 von Tom Toelle. Das Drehbuch dazu verfasste Wolfgang Menge, der dafür die Kurzgeschichte The Prize of Peril des US-amerikanischen Schriftstellers Robert Sheckley adaptierte. Darin geht es um eine Fernsehshow, in der ein Kandidat eine Woche lang vor Auftragskillern flüchten muss. Die Bevölkerung ist dabei ausdrücklich dazu aufgerufen, ihm entweder zu helfen oder ihn auffliegen zu lassen.
Das hier hat der Spiegel vor 10 Jahren geschrieben.
TV brutal
Es war der erste große Fernsehskandal der Dekade: 1970 lief im WDR "Das Millionenspiel", ein Thriller im Stile einer Reality-Show, bei der ein Kandidat von Killern gejagt wird. Tausende Zuschauer beschwerten sich über das gewalttätige Werk, Hunderte hielten die Show gar für real - und schickten Bewerbungen.
ZitatAlles anzeigen"Wir begrüßen Sie zum letzten Spieltag des Millionenspiels", heißt eine Fernsehansagerin im WDR die Zuschauer am 18. Oktober 1970 um 20.15 Uhr willkommen und verspricht lächelnd: "Sollte der Kandidat vorzeitig den Tod finden, so erwartet Sie ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm mit vielen beliebten Künstlern."
Was dann folgt, versetzt Fernsehdeutschland für Wochen in Aufruhr.
Da ist Bernhard Lotz, ein braver Bürger und Jedermann. Ausgemergelt, mit verdreckten Kleidern und dem panischen Blick eines gehetzten Tieres flieht er über Hausdächer, versteckt sich in leerstehenden Wohnungen und schleicht über düstere Hinterhöfe. Ständig in seinem Nacken: 24 Kamerateams, die jeden seiner Schritte verfolgen - und die Köhler-Bande, drei schwerbewaffnete Killer, mit dem Auftrag, ihn zu töten. Denn Lotz ist Freiwild, ein Gejagter im Namen des Entertainments. Die Regeln bei "Das Millionenspiel", bei dem Lotz Kandidat ist, sind ebenso brutal wie einfach: Überlebt er die archaische Reality-Show für sieben Tage und Nächte gewinnt er eine Million Mark, stellen die Kopfgeldjäger ihre Zielperson, wird Lotz vor den Augen der Fernsehnation kaltblütig abgeknallt.
Die "aktuellsten Arschlöcher der Bundesrepulik"
Als "Das Millionenspiel" vorbei ist, prasseln Tausende von wütenden Telefonanrufen, Beschwerdebriefen und Hass-Telegrammen auf die Redaktion des WDR ein. "Die allergrößte Schweinerei, die uns jemals vorgesetzt wurde", erbost sich ein Anrufer. Die Macher des Programms seien "rauschgiftsüchtig" oder gehörten in eine "Klapsmühle" diagnostizieren zahlreiche Zuschauer. Einer droht gar "diesen aktuellsten Arschlöchern der Bundesrepublik" müsse man "sehr gründlich die Fresse polieren und die Zähne einschlagen. Vielleicht aber geht es schneller und vornehmer mit einem MG".
Dabei ist "Das Millionenspiel" doch nur ein Fernsehfilm, oder?
"Als ich das erste Mal das Drehbuch in der Hand hatte, dachte ich nur: Einen Film als eine Spielshow auf Leben und Tot zu inszenieren, ist eine gespenstische Idee, aber sie ist toll", erinnert sich Dieter Thomas Heck. "Als wir schließlich drehten, hätte trotzdem niemand damit gerechnet, dass die Geschichte für so heftige Reaktionen sorgen würde." Heck wird damals gerade mit der ZDF-"Hitparade" zu einem von Deutschlands beliebtesten TV-Moderatoren. Beim "Millionenspiel" mimt er den Showmaster Thilo Uhlenhorst. Ein bekanntes Fernsehgesicht, das einen Moderator spielt, könnte das die Zuschauer nicht verwirren? Natürlich. Und genau darauf spekulieren Regisseur Tom Toelle und Drehbuchautor Wolfgang Menge. Mit ihrem Film, der über weite Teile wirkt wie eine echte Spielshow, schaffen sie das deutsche Pendant zu Orson Welles' "Krieg der Welten".
Welles löste 1938 eine Massenpanik aus, als am Abend vor Halloween seine Hörspielversion des Science-Fiction-Romans von H.G. Wells im Radio lief. Der junge Regisseur hatte die Story als packenden Live-Reportage über die Landung von Untertassen in New York inszeniert - Tausende Menschen glaubten, dass tatsächlich Marsianer die US-Metropole attackierten.
Fernsehballett für den Todeskandidaten
Auch Toelle tut alles, um sein "Millionenspiel" so real wie möglich wirken zu lassen. Konsequent inszeniert er seine mediale Menschenjagd wie eine echte Spielshow. Die fingierte Live-Übertragung wird in einem Fernsehstudio in Osnabrück gedreht, Dieter Thomas Heck moderiert die Show mit der gleichen Verve wie seine "Hitparade", führt Interviews mit der Mutter des Gejagten und dem Todeskandidaten für die nächste Ausgabe des "Millionenspiels". Kurze Einlagen von Musikinterpreten und einem schrill gekleideten Fernsehballett lockern die Sendung auf. Und immer wieder wird über eine große Leinwand gezeigt, wie Bernhard Lotz vor seinen Verfolgern flieht (deren Anführer Köhler übrigens der spätere Star-Komiker Didi Hallervorden spielt).
Natürlich wird auch der kleine Mann von der Straße nach seiner Meinung gefragt: Der Fernsehreporter Heribert Faßbender gibt einen namenlosen Interviewer, der auf der Straße Passanten fragt, was sie vom "Millionenspiel" halten. "Sehr modern finde ich das, ganz prima", sagt eine Frau brav ins Mikrofon. Der Mann neben ihr ist da schon etwas kritischer: "Ich bin jetzt ein paarmal vom Apparat weggeblieben", reflektiert er, "weil ich es verwerflich finde, jemanden zu verführen, für eine Million Mark sein Leben zu riskieren, nur um der Bevölkerung etwas zu bieten."
So soll "Das Millionenspiel" ein Kommentar auf die Auswirkungen der Privatisierung des Fernsehens sein. "Wir haben", erklärt Günter Rohrbach, der damalige TV-Spiel-Chef des WDR damals dem SPIEGEL, "die jetzigen Verhältnisse übertrieben und in die Zukunft projiziert, um die Gegenwart erkennbar zu machen." Als düsteres Vorbild gilt Anfang der siebziger Jahre das "amerikanische Kommerz-Fernsehen". Dort komme es den Geldgebern aus der Wirtschaft, so der SPIEGEL in seinem Bericht über den Film, ausschließlich auf hohe Einschaltquoten und den größten Werbeeffekt an. Deshalb bestünden dort "drei Viertel aller Unterhaltungsdarbietungen aus Mord und Totschlag".
Ich habe damals den Film fasziniert vor der Glotze verfolgt.
Was danach dann in der Öffentlichkeit abging, habe ich zum Teil nicht verstanden. Ich fand es sehr unterhaltsam; und für mich war es von Anfang an Fiktion. Aber wohl nicht für alle....
Aber „innovativ“ war es schon – den Begriff gab es aber so noch nicht.
Und ich musste lange Zeit warten, bis ich den Film nochmals sehen konnte.
Wegen eines Rechtsstreits war eine Wiederholung nicht möglich. Dies ist aber mittlerweile geklärt.
Die Titelmusik kam im übrigens von Can
Can - Millionenspiel
Trivia
Die Deutsche Bundespost hat 2017 eine Briefmarke von dem Film mit Hauptdarsteller Jörg Pleva herausgegeben.