Sie konnte Donald Trump nicht entkommen
Angelika Kausche ist die erste deutsche Abgeordnete im Repräsentantenhaus in Georgia. Mit Donald Trump wollte sie dabei nichts zu tun haben – eigentlich.
ZitatAlles anzeigenJohns Creek in Georgia liegt rund 1.000 Kilometer oder 10 Autostunden entfernt von Washington, D.C. Hier, im erweiterten Speckgürtel der Metropole Atlanta, wohnt seit 2015 die 58-jährige Angelika Kausche mit ihrer Familie. Sie stammt aus Wuppertal und ist wegen der Karriere ihres Mannes vor 23 Jahren in die USA gekommen. Vor zwei Jahren, 2018, wurde Kausche, die hier alle Angelika nennen, für die Demokraten die erste aus Deutschland stammende Abgeordnete im Repräsentantenhaus des Staates Georgia. Kausches Weg in die Politik, ihre Erfahrungen als Abgeordnete und ihr jetziger Wahlkampf für den Wiedereinzug – sie zeigen, wie die Präsidentschaft von Donald Trump und die Polarisierung der Politik auch im politisch Kleinen, im Lokalen, alles in ihren Bann zieht.
Es begann in der Wahlnacht im November 2016. Angelika Kausche saß mit ihrem Mann vor dem Fernseher, sah Trump gewinnen und wusste, dass sie etwas tun musste. "Wir sind 2011 US-Bürger geworden, als Barack Obama Präsident war. Wir dachten: Das geht hier jetzt in die richtige Richtung. Und dann ging es 2016 plötzlich wieder rückwärts."
Mit 65.000 Menschen im Regen
Also, was dagegen tun? Am 20. Januar 2017, dem Tag der Amtseinführung Trumps, fuhr Kausche mit einer Freundin nach Atlanta zum dortigen Women's March, den Protestzügen, mit denen hauptsächlich Frauen im ganzen Land gegen den neuen Präsidenten demonstrierten. Es regnete in Atlanta, und Kausche dachte: Da kommt doch sowieso keiner. Aber dann kamen 65.000 Menschen. "Das war eine beeindruckende Erfahrung, all diese Leute wollten etwas ändern", erinnert sich Kausche.
An jenem Tag in Atlanta spürte sie, dass eine Bewegung entstand und dass sie dabei sein wollte. Kausche vernetzte sich mit anderen Frauen aus ihrer Gegend per Facebook und engagierte sich im Wahlkampf eines demokratischen Senatskandidaten. Der verlor, aber Kausche war auf den Geschmack gekommen. Als die Demokraten kurz darauf keinen Kandidaten für Kausches als sicheren republikanisch geltenden Heimatwahlkreis für das Repräsentantenhaus finden konnten, wagte sie es. Und wurde überraschend und mit knapper Mehrheit gewählt. "Das habe ich mir wirklich vorher nicht vorstellen können und es war ja auch nicht in meinem Lebenslauf drin", so Kausche. In Deutschland, glaubt sie, wäre eine vergleichbare politische Blitzkarriere kaum möglich gewesen.
Für Bildung und Krankenversicherung
Mit Trump wollte Kausche als Neu-Abgeordnete nichts zu tun haben. Möglichst konkret und vor Ort das Leben der Menschen verbessern – das erschien ihr die beste Antwort. Zwei Themen lagen ihr besonders am Herzen: die ungleichen Bildungschancen für Kinder in Georgia zu verbessern und mehr Menschen Zugang zu einer guten und bezahlbaren Krankenversicherung zu ermöglichen. Die Dauer-Eskapaden Donald Trumps und das politische Chaos im fernen Washington wollte Kausche so gut es geht ignorieren. Das war der Plan. Doch es kam anders, wie Kausche schnell herausfinden sollte.
Als Parlamentsneuling der Oppositionspartei kam Kausche nicht in die gewünschten Fachausschüsse, in denen sie ihr Interesse für Kinder und Gesundheit einbringen konnte. Zudem sind Demokraten generell in weniger Ausschüssen vertreten als die das Repräsentantenhaus kontrollierenden Republikaner. "Die Republikaner sind in der Regel in fünf oder sechs Ausschüssen, ich bin nur in drei Ausschüssen – und einer davon ist ein Ausschuss, der nicht aktiv ist. Da packen sie all die Demokraten rein, damit die keinen Unsinn anstellen können," erklärt Kausche.
Was dann passierte, sorgte bei der frisch gewählten Abgeordneten endgültig für Ernüchterung. Die Demokraten in Atlanta sahen sich kurz nach Beginn der Legislaturperiode mit einem offenbar national koordinierten Angriff der Republikaner auf das Abtreibungsrecht konfrontiert.
Diese brachten einen Gesetzentwurf ein, der das ohnehin schon strenge Abtreibungsrecht Georgias drastisch verschärfen sollte. Die sogenannte Heartbeat Bill verbietet Schwangerschaftsabbrüche ab der sechsten Woche und lässt nur sehr wenige Ausnahmen zu.
Die größte Niederlage
Kausche selbst versuchte gemeinsam mit anderen Demokraten in Gesprächen noch genügend Republikaner umzustimmen, um das Gesetz zum Scheitern zu bringen, doch letztlich fehlten zwei Stimmen. Die Heartbeat Bill wurde Ende März 2019 mit knapper Mehrheit verabschiedet und vom republikanischen Gouverneur unterzeichnet. Zwar wurde es kurz nach Verabschiedung gerichtlich für nicht verfassungsgemäß befunden und bis zur endgültigen juristischen Klärung ausgesetzt. Aber genau das war der republikanische Plan. Sie hatten ähnliche Gesetze in anderen Staaten eingebracht mit dem Ziel, dass eines vor dem Verfassungsgericht landen und das unter Trump deutlich nach rechts gerückte Richtergremium dann das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche aufheben würde.
"Es könnte das Gesetz aus Georgia sein, das schließlich vor den Supreme Court kommt", so Kausche. "Weil wir es vorher nicht geschafft haben, das auf lokaler Ebene abzuwehren." Die Niederlage war für Kausche und die Demokraten auch deshalb schmerzhaft, weil Georgias Repräsentantenhaus ein Teilzeitparlament ist, dass pro Jahr nur drei Monate von Anfang Januar bis Anfang April zusammentritt. Der verlorene Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche dominierte daher die kurze Legislaturperiode.
Ihr Gesetzentwurf kommt nicht weit
Kausches Amt ist nicht mit der Macht und der Ausstattung der deutschen Landtagsabgeordneten zu vergleichen. Sie teilte sich mit sechs Abgeordneten eine Schreibkraft und musste mit 7.000 Dollar für alle weiteren Ausgaben der Legislaturperiode auskommen. Wer mehr bewegen will, braucht Geld, und muss entweder seine Zeit mit dem Einwerben von Spenden verbringen oder auf die persönliche Aufwandsentschädigung von 17.000 Dollar im Jahr zurückgreifen. Was Kausche auch lernte: Ihre früheren "hehren Ziele", wie sie es heute nennt, das Leben der Menschen vor Ort verbessern – die seien als Abgeordnete der Minderheitspartei schlicht nicht durchsetzbar. "Unsere Hauptaufgabe in der Opposition ist, dafür zu kämpfen, das schlechte Gesetze nicht durchkommen", sagt Kausche.
Sie hat beispielsweise einen Gesetzentwurf eingebracht, der auf den Schulhöfen des Staates das Rauchen der schon bei Jugendlichen beliebten E-Zigaretten eingeschränkt hätte. Aber weil sie keinen Partner auf republikanischer Seite hatte, kam sie nicht weit. "Auch eine Erfahrung, die ich machen musste", sagt Kausche. "Da habe ich auch sehr viel gelernt, was ich verbessern kann."
Mittlerweile ist sowieso alles von Corona überschattet – und damit erneut von den Folgen der Politik des Präsidenten im fernen Washington. Regiert von einem Gouverneur, der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wie sein Vorbild in Washington häufig ablehnte, abschwächte oder verschleppte, wurde Georgia bald zu einem Covid-Hotspot. Bis heute sind in dem Bundesstaat mit seinen rund 10 Millionen Einwohnern mehr als 7.500 Menschen an dem Virus gestorben. Zum Vergleich: Deutschland mit rund 83 Millionen Einwohnern verzeichnete bislang rund 10.000 Corona-Todesfälle. Auch Kausche und ihr Mann erkrankten im Frühjahr an Covid-19, ihr Mann leidet bis heute an Spätfolgen.
Haustürwahlkampf ist abgesagt
Inmitten der Coronavirus-Krise führt Kausche nun den Kampf um ihre Wiederwahl, die zeitgleich mit der Präsidentschafts- und Kongresswahl stattfindet. "Der Wahlkampf ist natürlich total anders", sagt Kausche. "Wir haben diesen Bezirk 2018 gewonnen, in dem wir von Tür zu Tür gegangen sind, an über 15.000 Türen geklopft haben, mit Leuten gesprochen haben. Das ist jetzt durch Covid absolut zusammengebrochen." Kausche macht auch deshalb keinen Haustürwahlkampf mehr, weil es in der Pandemie "einfach das falsche Signal setzen würde". Ihr und ihren Helfern bleiben nur Telefon und SMS, Zoom und Flyer. Der republikanische Gegner übrigens zieht weiter von Tür zu Tür.
So sehr Kausche unter den Folgen der Trump'schen Politik und des republikanischen Politikstils leidet – sie profitiert auch vom Widerstand gegen ihn und seine Mitstreiter. Die Demokraten sind laut Umfragen sowohl in ihrem Wahlkreis als auch in ganz Georgia im Aufwind. Vielleicht könnte ihr Präsidentschaftskandidat Joe Biden diesmal sogar den Staat gewinnen. Es wäre das erste Mal seit 1992.
Mit den republikanischen Abgeordneten in Atlanta hat Kausche sich trotz der gemeinsamen zwei Jahre nicht viel zu sagen. "Die leben in einer eigenen Welt – und das sagen die von uns auch." Das ist der Hauptgrund dafür, dass die Deutsche, die jetzt Politikerin in den USA ist, skeptisch in die Zukunft schaut. Selbst wenn sie ihren Wahlkreis gewinnen sollte und selbst wenn Joe Biden die Präsidentschaftswahl in wenigen Tagen gewinnt: "Es wird Jahre dauern das Land wieder zusammenzuführen", sagt Kausche. "Jahre, wenn überhaupt."