Höllenfahrt in eine neue Zeit
Die Sechzigerjahre waren fast vorbei, als im Kino zwei Typen auf Motorrädern Amerika durchquerten und dabei die Grenzen der Freiheit spürten: "Easy Rider" sorgte für volle Kassen - und stellte Hollywood infrage.
ZitatAlles anzeigenDie letzte Klappe von "Easy Rider" war schon vor Monaten gefallen, das Jahr 1968 näherte sich seinem Ende, und noch immer gab es keine Version des Films zu sehen. Die Produzenten wurden langsam nervös, schließlich schnitt Regisseur und Hauptdarsteller Dennis Hopper Tag für Tag an dem Film herum. Und es hatte genug Stimmen gegeben, die davor gewarnt hatten, ausgerechnet ihm "Easy Rider" anzuvertrauen.
Endlich, so schien es, hatte er eine Fassung fertig, doch die Produzenten trauten ihren Augen und Ohren nicht: Der Film sollte viereinhalb Stunden dauern. Hopper wollte "Easy Rider" als Roadshow herausbringen und vor dem Kinostart in ausgewählten Lichtspielhäusern zeigen, mit Pausen, hohen Eintrittspreisen und reservierten Sitzplätzen. "Das kannst du vergessen", sagte ihm Produzent Bill Hayward, "Das ist nicht 'Lawrence von Arabien'! Wir müssen den Film auf normale Spielfilmlänge kürzen."
Hopper blieb stur, aber die Produzenten schickten ihn in den Urlaub und nahmen den Schnitt selbst in die Hand. Nun dauerte der Film tatsächlich nur noch 95 Minuten. Die Studiobosse von Columbia konnten bei Testvorführungen nicht viel damit anfangen, aber die Kinowelt stand Kopf - zunächst beim Filmfestival von Cannes im Mai, später bei dem US-Start am 14. Juli 1969 im New Yorker Beekman Theatre. Hopper hatte einen Film gedreht, der genau das Lebensgefühl der jungen Leute in den Sechzigerjahren abbildete.
Roadmovie auf Drogen
Wer "Easy Rider" hört, denkt zunächst mal an Motorräder und vor allem an Harley-Davidson, aber darum ging es Hopper gar nicht, wie er mal in einem Interview erzählte: "'Easy Rider' war für mich nie ein Motorradfilm. Es ging vor allem darum, was politisch gerade los war in dem Land."
Und so setzte er sich aufs Motorrad und fuhr als Billy mit Peter Fonda als Wyatt neben sich von Los Angeles quer durch die USA, um in New Orleans am Mardi Gras teilzunehmen. Auf ihrem Weg dorthin besuchten die beiden Protagonisten eine Hippie-Kommune, lasen einen alkoholsüchtigen Anwalt auf, konsumierten allerhand Drogen und wurden vor allem immer wieder mit der Ignoranz und Feindlichkeit der Bevölkerung konfrontiert - bis zum bitteren Ende.
Die Umstände der Dreharbeiten bieten viel Stoff zur Legendenbildung - nicht nur, weil am Set viel Stoff aller Art konsumiert wurde. Waren es jetzt 100 oder 150 Joints, die Hopper, Fonda und Nicholson bei der berühmten Lagerfeuerszene rauchten? Zu dem Drogenkonsum kamen die Ego-Probleme: Hopper soll schon bei Probeaufnahmen beim Mardi Gras viele Crewmitglieder so verärgert haben, dass diese hinschmissen und durch Laien vor Ort ersetzt werden mussten. Im Streit mit seinem Filmpartner Peter Fonda ging es dagegen wohl vor allem um Geld - und der Streit sollte nie wieder geschlichtet werden. Fonda sagte, er sei zur Beerdigung von Hopper gekommen, habe aber nicht die Kapelle betreten dürfen.
Schlussszene einfach vergessen
Auch ums Drehbuch ranken sich zahllose Geschichten: Gab es überhaupt eins oder improvisierten die Schauspieler? Und wenn es eins gab, wer hat es geschrieben? Darüber wurden sich Hopper, Fonda und der als Autor genannte Terry Southern nie einig. Als der Film dann endlich abgedreht war, fiel Hopper und Fonda auf, dass sie glatt vergessen hatten, die abschließende Lagerfeuerszene zu drehen. So mussten sie zwei Wochen später nochmal ran - ohne die Motorräder, die mittlerweile gestohlen worden waren.
In gewisser Hinsicht ist all dieses Chaos auch egal, wenn am Ende so ein wahrhaftiger Film dabei herauskommt. Denn ob gewollt oder nicht, Hopper setzte verblüffende Akzente als Regisseur. Etwa ließ er die sogenannten Blendenflecke, die Lichtspiegelungen, die sonst immer aus Filmen herausgeschnitten werden, einfach drin. Und schuf mit seinen vielen Jump-Cuts einen natürlichen, fast dokumentarischen Stil, der bald Standard werden sollte. Ursprünglich wollte er auch viele "Flash Forward"-Szenen einbauen, am Ende blieb aber nur eine drin: die auf dem Friedhof, als Wyatts Ende zu sehen ist.
Auch die Auswahl der Musik setzte neue Maßstäbe. Zunächst sollten Crosby, Stills & Nash für den Soundtrack sorgen, ein entsprechender Vertrag war schon geschlossen. Doch ihr Engagement scheiterte am Veto von Hopper nach einer gemeinsamen Fahrt in einer Limousine mit Chauffeur. "Ihr Typen seid verdammt gute Musiker, ehrlich", soll Hopper zu Stephen Stills gesagt haben, "aber ich glaube nicht, dass jemand, der sich in Limousinen herumkutschieren lässt, meinen Film verstehen kann. Deshalb bin ich dagegen, dass ihr die Filmmusik macht."
Sternstunde des "New Hollywood"
Hopper griff stattdessen hauptsächlich auf Songs zurück, die er während der Schneidearbeiten im Radio hörte - ein Best-of des Sixties-Rock. Bei "Born to Be Wild" von Steppenwolf darf man schon mal die Augen verdrehen, aber andere Stücke wie "Wasn't Born to Follow" von The Byrds, "It's Alright, Ma" oder "Ballad of Easy Rider" von Roger McGuinn fangen den damaligen Zeitgeist perfekt ein. Ohne diese Musik hätte "Easy Rider" einiges von seiner Wirkung eingebüßt. Die Methode, Songs aus der Zeit für einen Film zu nehmen, statt einen eigens dafür komponierten Soundtrack, sollte sich bald in vielen Filmen durchsetzen - etwa in "American Graffiti" oder "Apocalypse Now".
Beides Werke des "New Hollywood", dieser Zeit zwischen Ende der Sechziger- und Ende der Siebzigerjahre, als sich junge und unerschrockene Autoren und Filmemacher anschickten, das angestaubte Hollywood zu revolutionieren und mit Energie und Kreativität das Kino zu erobern. Arthur Penns "Bonnie und Clyde" hatte 1967 den Weg dafür geebnet, aber "Easy Rider" war der Film, der plötzlich noch viel mehr möglich machte. Ein Film, der von Rebellen und Outlaws handelte, die sich gegen das Establishment auflehnen, mit geringen Mitteln unabhängig finanziert, aber mit viel Gefühl für die Zeit und die jungen Leute und einer Menge Authentizität und Gesellschaftskritik. All das, was dem alten Hollywood abging.